Beziehungsmuster und zyklisch maladaptive Beziehungszirkel

„Die Krankheiten der Seele sind Krankheiten der Beziehung.“ – Martin Buber

Störungen zwischenmenschlicher Beziehungen machen einen wichtigen Teil der Klagen aus, mit denen Menschen Psychotherapeuten aufsuchen. Die Schwere seelischen Leids wiederum ist das Resultat lebensgeschichtlich prägender Erfahrungen, die in Form mentaler Beziehungsrepräsentanzen gespeichert sind. Eine Aufgabe des Psychotherapeuten besteht nun darin, die gewohnheitsmäßigen leidvollen Beziehungsmuster („Dysfunktionale habituelle Beziehungsmuster„) zu identifizieren, welche aus dem Verhalten des Patienten und den wiederkehrenden immer gleichen Reaktionen seiner Sozialpartner bestehen, und diese bewusst zu machen. Da sie sich oftmals auch in der Beziehung zum Therapeuten abbilden, soll er bestenfalls einen interpersonellen Raum schaffen können, in dem neue Erfahrungen gemacht werden können.

Beziehungsmuster aus der frühen Kindheit, d. h. der vorsprachlichen Lebensphase bis ca. zum dritten Lebensjahr, sind im prozeduralen Gedächtnis als sog. implicit relational knowledge gespeichert. Zu diesen können keine konkreten Erlebnisse erinnert werden, sie müssen vielmehr nachträglich erschlossen und versprachlicht werden. Sie zeigen sich in Form unbewusster Reinszenierungen als szenisches Geschehen („Enactments“), das als solches beobachtet und gedeutet werden kann. Hier geht es vor allem um die Art und Weise der Beziehungsgestaltung, die Rückschlüsse auf das Beziehungserleben und dessen Entstehung ermöglicht. Dieses Beziehungserleben ist für den Patienten oft so grundsätzlich und selbstverständlich, dass er nicht auf die Idee gekommen wäre, es infrage zu stellen oder sich eine Alternative dazu vorzustellen.

Später entstandene Beziehungsmuster sind im episodischen Gedächtnis gespeichert, d. h. es können passende konkrete Erlebnisse erinnert werden. Diese Beziehungsmuster sind oft weniger grundsätzlich, sondern vielmehr situativ und umschrieben. Der Patient kann die konflikthaften Momente seiner aktuellen Lebensrealität meist direkt selbst formulieren und auch sein zugrunde liegendes Erleben beschreiben (Beispiel: „In Gegenwart meines Chefs fühle ich mich wieder wie ein kleines Kind und verliere meine gewohnte Souveränität.“). Auch kann er diesem Erleben ein anderes gegenüberstellen („Sonst bin ich nicht so“). Allerdings besteht kein Wissen um den Zusammenhang früherer Erfahrungen und dem aktuellen Erleben; kann dieses nun in der Therapie wieder in seinen erinnerbaren Entstehungskontext eingeordnet werden, z. B. durch freie Assoziation und Deutung, kann spürbar werden, dass es damals passte, heute aber nicht mehr. Durch diese Unterscheidung entsteht Platz für eine emotionale Neubewertung der Gegenwartssituation („Ich kann meinem Chef auf Augenhöhe begegnen“), das reflexhafte alte Erleben hat ausgedient. In psychoanalytischer Terminologie wird dieses Beziehungserleben als Übertragung bezeichnet: das Erleben einer aktuellen Beziehungssituation unter dem Blickwinkel vergangener Beziehungserfahrungen, welches das Erleben und Verhalten in gegenwärtigen Beziehungen verzerrt.

Dysfunktionale habituelle Beziehungsmuster kennzeichnen sich durch Wiederholung, d. h. ihr fortwährendes, fast zwanghaftes sich immer wieder Einstellen ohne dass neue Erfahrungen gemacht werden, und durch Kreisförmigkeit, d. h. Verhalten des Patienten und Reaktion seiner Sozialpartner bilden eine geschlossene Einheit, die sich selbst aufrechterhält. Man spricht auch von zyklisch maladaptiven Beziehungszirkeln (entspricht Achse II im OPD).

Ein zyklisch maladaptiver Beziehungszirkel beginnt mit einer übertragungsbedingt verzerrten Wahrnehmung (im Bild oben rechts), die ein unverhältnismäßiges, aus seiner Sicht aber passendes Verhalten des Patienten zur Folge hat (oben links). Dieses Verhalten wird vom Gegenüber, das in der Regel keine Kenntnis der übertragungsbedingt verzerrten Wahrnehmung des Patienten hat, als unpassend erlebt und anders bewertet (unten links). Die hierauf folgende Reaktion (unten rechts) wird vom Patienten wiederum wie gewohnt interpretiert (oben rechts), wodurch sich der Zirkel aufrechterhält.

Da chronische Beziehungskonflikte eine Ursache für die Entwicklung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen sein können, ist deren Bearbeitung ein wichtiger Bestandteil psychotherapeutischer Behandlung. In den psychodynamischen Psychotherapieverfahren (Psychoanalyse, Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) hat dieser Aspekt einen hohen Stellenwert, dem mit wie im vorigen Artikel genannten Arbeitswerkzeugen substanziell Rechnung getragen wird.

Die meisten Beziehungskonflikte sind erfahrungsgemäß beidseitig verursacht. Bekannterweise kann man aber nur sich selbst, nicht den Anderen verändern. Und meistens ändert sich das Beziehungsgeschehen schon, wenn einer der Beteiligten sein Beziehungsmuster überdenkt. Aus chronischen Beziehungskonflikten bzw. zyklisch maladaptiven Beziehungszirkeln auszusteigen hat etwas Befreiendes und schafft Raum für neues Lebensglück: der Lohn für die mutige Auseinandersetzung mit sich selbst.