Das Unbewusste

Sigmund Freud und das Unbewusste

„…dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“ sei nach der Kopernikanischen Wende und Darwins Evolutionstheorie die dritte große Kränkung des Menschen, die Freud ihm mit seinen Erkenntnissen zumute – so zumindest begründet er die Widerstände gegen seine noch junge Wissenschaft in der Schrift „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“. Das Unbewusste, ein bereits in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts mit eher romantischen Vorstellungen entwickeltes Konzept, entdeckte er durch seine Studien über Hypnose bei Jean-Martin Charcot in Frankreich und formulierte es in seinem bedeutenden Werk „Die Traumdeutung“ schließlich aus. Ehrfürchtig stellt er es dem dem unterlegen erscheinenden Bewusstsein gegenüber, vergleicht es mit dem Prinzip von Itzig, dem Sonntagsreiter („Itzig, wohin reit’s Du?“ – „Weiß ich, frag das Pferd.“) und sieht in ihm das Fundament des psychischen Lebens.

In seinem ersten topischen Modell definiert er das Unbewusste als ein System, das von verdrängten Inhalten, die dem davon abgegrenztem System Vorbewusst-Bewusst nicht zugänglich sind, gebildet wird. Diese Inhalte, sog. Triebrepräsentanzen („Wunschvorstellungen“), die stark mit Energie besetzt sind, versuchen, wieder ins Bewusstsein zu kommen und in Aktion umgesetzt zu werden, schaffen dies aber nur durch Anpassung an die eigene Zensur oder durch Kompromissbildung mit anderen Interessen. Es seien vor allem Kindheitswünsche, die eine Fixierung im Unbewussten erfahren. Unbewusste Inhalte, die durch Zensur oder Kompromissbildung bewusstseinsfähig werden können, nennt Freud vorbewusst.

In seinem zweiten topischen Modell wird „unbewusst“ hauptsächlich als Adjektiv benutzt und bestimmt kein eigenes System mehr, sondern bezieht sich auf Bereiche der Instanzen Es-Ich-Überich. Die Vorstellung des Unbewussten als System gemäß der ersten Topik kann hier allerdings dem Es zugeschrieben werden.

Das Wirken des Unbewussten ist unabhängig vom Einfluss des bewussten Denkens und diesem unzugänglich. Nur durch den Traum, durch Fehlleistungen, Wortspiele und die Freie Assoziation zeigt es sich. Seine Eigenschaften sind Primärvorgang (= Beweglichkeit der Besetzungen, Charakteristik der freien Energie), keine Negation, kein Zweifel, kein Grad von Sicherheit, Gleichgültigkeit der Realität gegenüber und Regulierung einzig durch das Lust-Unlust-Prinzip.

Das Unbewusste im 21. Jahrhundert

Bohleber (2011) unterscheidet in Bezug auf vorwiegend extraklinisch-empirische Forschung drei Arten von Unbewusstem:

1.) das dynamische Unbewusste, das einerseits im Freudschen Sinne verdrängte konflikthafte Triebregungen beinhaltet, andererseits aber auch andere Wünsche, die sich um Erhaltung des Narzissmus bzw. der Selbstwertregulation, Sicherheitsempfinden, Vermeidung unangenehmer Affekte etc. drehen. Es umfasst auch unbewussten Fantasien von primärprozesshafter Qualität, die mit unterschiedlichen Überzeugungen verbunden sein können (z. B. dass die eigene Aggressivität zum Verlust geliebter Anderer und so zu Einsamkeit führt).

2.) das nicht-verdrängte Unbewusste, das Freud zwar auch schon formulierte, erst aber mit Aufkommen der Säuglingsforschung ausführlich konzeptualisiert wurde. In ihm sind interaktionelle Muster mit den frühen Bezugspersonen gespeichert („implicit relational knowledge“, Beziehungsschemata), präverbale Erfahrungen und gelernte Fertigkeiten (z. B. Fahrradfahren), womit es dem Konzept des impliziten Gedächtnisses der modernen Kognitionsforschung entspricht. Die hier enthaltenen frühen Interaktions- und Kommunikationsmuster, die nie bewusst waren und somit kein Produkt von Abwehrmechnismen sind, dennoch aufgrund belastender Erfahrungen in der frühen Kindheit aber pathologisch sein können, reinszenieren sich z. B. in Form von Enactments in der Beziehung zwischen Analytiker und Analysand, wo sie dann versprachlicht und so bewusst gemacht werden können, was ihre Veränderung ermöglicht.

3.) das kreative Unbewusste: hier wird dem Unbewussten eine zur eigenen Authentizität vermittelnde Wirkung zugesprochen, indem es z. B. durch Träume konflikthafte Haltungen und Auffassungen kommentiert oder korrigiert. Dieser Aspekt kommt den romantischen Vorstellungen der Philosophie des 19. Jahrhunderts nahe, wird aber auch C. G. Jungs Vorstellung vom Unbewussten und seinem Konzept vom Individuationstrieb gerecht.

Psychotherapeutische Arbeit mit dem Unbewussten: die Psychodynamischen Psychotherapien

Die Psychodynamischen Psychotherapieverfahren, also Psychoanalyse / Analytische Psychotherapie und die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, haben als Kernelement ihrer Methodik die Arbeit mit dem Unbewussten. Mit ähnlichen Interventionen in je unterschiedlichen Settings soll die Beziehung zwischen Unbewusstem und Bewusstem verbessert werden, sodass Symptome nachlassen und die innere Freiheit größer wird. Wie dieser Prozess abläuft ist dabei zu Beginn nicht vollständig vorhersagbar; Therapeut und Patient sind gleichsam Entdeckungsreisende in der Terra incognita, die das Unbewusste des Patienten für beide darstellt, wenngleich der Therapeut aber mehr Reiseerfahrung mitbringt.

Im Setting der klassischen Psychoanalyse bzw. Analytischen Psychotherapie, d. h. in einer Sitzungsfrequenz von 3-4 Terminen pro Woche liegend auf der Couch, kann hervorragend mit dem dynamischen oder kreativen Unbewussten gearbeitet werden. Das Liegen ermöglicht eine gute Regression, d. h. ein begleitetes Eintauchen in tiefere bzw. frühe Erlebenswelten, wo sich das Unbewusste mit seinem Wünschen und Wollen symbolisch zeigt und dann durch Deutungen übersetzt und so ins Bewusste integriert werden kann. Bei umschriebenen neurotischen Konflikten, die schon zu Behandlungsbeginn konturiert sichtbar sind, kann auch die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie angewendet werden, die mit einer Sitzungsfrequenz von einem Termin pro Woche im Sitzen bei einem insgesamt niedrigerem Stundenkontingent allerdings eine nur begrenzte Tiefe ermöglicht. Es kann jedoch von Tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie zu Analytischer Psychotherapie gewechselt werden, wenn es der Verlauf erforderlich macht; die Krankenkassen bzw. Gutachter folgen hier entsprechend begründeten Anträgen.

Im Setting der modifizierten Analytischen Psychotherapie mit 2-3 Terminen pro Woche im Sitzen kann wiederum sehr gut mit dem nicht-verdrängten Unbewussten gearbeitet werden. Hierfür hat sich der Schwerpunkt der sog. Psychoanalytisch-interaktionellen Therapie entwickelt, der stärker das unbewusste Beziehungserleben und -gestalten, auch in der therapeutischen Beziehung, fokussiert. Hierfür wird vor allem die sog. Übertragungsbeziehung genutzt. Auch die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie kann mit dem nicht-verdrängten Unbewussten arbeiten, aufgrund der geringeren Sitzungsfrequenz aber nur begrenzt hierfür auch die therapeutische Beziehung nutzen.

Oft spielen alle drei Formen des Unbewussten eine Rolle, und die Wahl des Settings wird dem aktuellen oder bevorzugten Arbeitsfokus angepasst. Hier spielen auch die Neigungen und Möglichkeiten von Therapeut und Patient eine wichtige Rolle; nicht jeder Patient will z. B. auf die Couch, und nicht jeder Therapeut kann sich z. B. gut auf eine ausgeprägte Übertragungsbeziehung einlassen.